Es geht mich nichts an! – Gunkl

Eine dieser Errungenschaften ist die Trennung von Privatem und Öffentlichem.
Die Trennung von Privatem und Öffentlichem ist ein Kulturgut; vielleicht nicht so offensichtlich wie die Demokratie, aber bestimmt so wichtig wie ein Mindestmaß an Umgangsformen. Es ist wichtig, daß man sich bei seinen Gefühlsäußerungen aussuchen kann, wer sie sieht, und genauso wichtig ist es, daß man sich aussuchen kann, wessen Gefühlsäußerungen man sich anschaut.

Ich denke, jeder Mensch hat soviel Anstand, daß er nicht auf eine fremde Hochzeit geht, sich neben das Brautpaar stellt und das Brautpaar anglotzt, um eine Gefühlsregung zu sehen. Niemand würde es wagen, auf irgendein Begräbnis zu gehen, nur um jemanden weinen zu sehen.

Das Fernsehen und manche Zeitschriften tun aber genau das. Ich möchte den aufklärerischen oder zumindest informativen Aspekt von Kriegsberichterstattung einmal ausklammern. ich rede davon, daß sich das Fernsehen selbst zu den Eltern von irgendwelchen Skirennläufern nach Hause einlädt, und diesen Eltern beim Hoffen und Bangen zusieht, und zwar ganz genau und ganz nah zeigt mir die Kamera jemanden, den ich nicht persönlich kenne und der vor allem mich nicht kennt, bei tiefsten Empfindungen. „Jössas, Mama, da Bua!“-

Es geht mich nichts an!
Mich und alle Fernsehzuschauer geht das nichts an! Manche Zeitschriften durchwühlen sogar den Hausmüll von Prominenten, und drucken den dann viefarbig und kommentiert ab, oder sie photographieren diese Menschen beim Austausch von Zärtlichkeiten und bezeichnen das dann als schamlos(Muß man sich ja einmal vorstellen, aus tausend Metern Entfernung mit einem Wahnsinnsteleobjektiv photographieren die jemanden, der davon nichts weiß, in seinem Privatbereich und empören sich dann, der Photographierte wäre schamlos!). Es gibt auch Fernsehsendungen, in denen Menschen eingeladen werden, sich bis an die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit zu verausgaben, und weil es dabei um viel Geld geht, tun die das auch. Und die Kamera drauf! „Kein doppelter Boden, alles echt! Diese Paar hier hat nicht gewonnen! Sie können nicht nur kaum noch atmen, nein!, sie sind auch richtig verzweifelt!, das seh´n wir uns jetzt ganz genau an, sowas sieht man nicht alle Tage!“ – Um jemandem in Momenten des Glücks oder der Verzweiflung so nahe sein zu dürfen, muß ich mit ihm in die metaphorische selbe Sandkiste geschissen haben!

Natürlich wird da eingewendet, das ist eben die Wirklichkeit und das wahre Leben, s wird nur gezeigt, was wirklich ist. Einen Scheißdreck! Dieser Authetizitätsanspruch ist genauso verlogen wie blöde; Jeder, der irgendetwas untersucht, wird begreifen, daß die Untersuchung nicht ihr Ergebnis beeinflussen darf. Wenn ich von jemandem die Herzschläge zählen will, ist es schlecht, wenn ich ihm dafür die Brust aufschneide. (Ein bißchen besser, aber immer noch falsch ist es, wenn sich der untersuchende Arzt mit einer Kettensäge den Weg ins Behandlungszimmer bahnt).

Das Fernsehen zeigt nicht das wirkliche Leben, sondern Dinge, die es gar nicht gibt, wenn das Fernsehen nicht inszeniert. Aber das ist nur ein methodologischer Einwand, worum es mir geht, ist folgendes: Auch und gerade beim geheimen und verstohlenen Beobachten werden Schamgrenzen gebrochen, die in unserem Kulturkreis seit der Abschaffung des Prangers Gültigkeit und Richtigkeit haben. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Worte von Johann Krankl;“ Das Privatleben ist Privat und soll auch privat bleiben.“

Es ist eben eine Frage des Respekts vor einem Menschen, daß man sich nicht vor jemanden, der weint oder sich im höchsten Glück ergeht, hinstellt und ihn dabei beobachtet nur so, aus Lust am Schauen. Und es ist egal, ob da ein Bildschirm, oder Bedrucktes Papier dazwischen ist. Ein möglicher Einwand wäre noch:“ Ja, die Leute wollen das eben sehen, wenn jemand wirklich weint, oder vor Aufregung außer sich ist, den Leuten ist auch scheißegal, ob der betreffende eine Privatsphäre hat, die Leute wollen echte Tränen sehen, die Filmtränen reizen doch niemanden mehr!“ – Einem Rauschgiftkonsumenten, der in diesem Stadium ist, würde ich sagen:

„Es ist Zeit für einen Entzug.“

Gunkl im Netz

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